(Die Brücke nach Salamanca)
Die Brücke an der alten Silberstraße,
ein belebtes Band aus Lärm und grauem Stein,
trägt die Welt seit je zu Salamancas Toren,
doch abends liegt sie schweigend und allein.
Sind die Menschen jener Ufer auf der Reise
beenden sie sie zeitig vor der Nacht,
und flüstern im Vorübergehen leise:
„Hab acht!“
* * *
Des Reiters langer Schatten will ermüden,
doch Salamanca liegt nun schon zum Greifen nah,
die Botenfahne flattert matt gen Süden,
die alte Brücke noch, und er ist da.
Die Sonne küsst den Horizont, der Reiter achtet’s nicht,
da tritt sie leisen Fußes aus dem Brückenkopf hervor,
ihr Haar weht weiß im Abendwind, ihr Kleid durchwirkt von Licht –
sie ist gleißend schön, ein Sommerstrahl, doch er sieht nur das Tor.
Die schlanke Hand greift warnend in die Zügel:
„Geliebter, Du betrittst mein Reich aus Stein,
bald sinkt die Sonne hinter Dunst und Hügel,
bist Du dann noch auf der Brücke – bist Du mein!“
Er schnaubt: „Weib, Stürme wehen, wenn ich reite,
mein Pferd, es ist das schnellste in Léon,
kaum hundert Schritt sind’s bis zur andern Seite
Was stehst Du mir im Weg, scher Dich davon.“
Sie tritt zurück und lacht, die Stimme schneidend wie Kristall,
schon hallt sein Hufschlag hell das erste Brückenjoch entlang,
da, still, im Abendrot, ahnt er Gestalten überall,
wie Träume auf der Reise, wie ein halbvergessner Klang.
Er hebt den Blick. Der Brücke graues Band
schwingt sich in Bögen himmelwärts empor,
spannt weit und hoch sich über blasses Land
und fern, am blauen Horizont – das Tor.
Er flucht, trabt an – schrill hallt ihr Lachen wieder – ,
und fragt sich noch: Hätt ich zurückgekonnt?
Die Botschaft eilt, die Sonne sinkt hernieder,
nur drei Fingerbreit bis zum Horizont. . .
Ein mancher hastet, eilt gleich ihm, die meisten aber bleiben
und starr’n verlor’n in die Momente zwischen Tag und Nacht,
seh’n traumversunken Welt um Welt im Fluss vorübertreiben,
ein Junge nur raunt leis‘ noch im Vorübergehn: „Hab acht. . .“
Ein Strom aus ferner Zeit umspült den Boten,
ein römischer Soldat, ein Maurenkind,
er sieht Adel, Volk, Alanen, Visigothen,
fremde Trachten, fremde Augen, leer und blind.
Ihm graust. Im Kanter prescht er durchs Gedränge,
Haare schimmern rabenschwarz und weizenblond,
der Brückenkamm! Sein Schrei gellt durch die Menge,
nur zwei Fingerbreit bis zum Horizont. . .
Angst kriecht ihm in die Glieder und sein Blut rauscht in den Ohren,
im Wort des Brückenweibs gähnt wie ein Schlund die Ewigkeit.
Wird er in Dämmerung versinken wie die andern Toren,
ein Schatten zwischen Land und Himmel, Leben, Tod und Zeit?
Dort vorne, noch ganz klein, sieht er sie stehen,
wie Falten schmiegt sich Nacht in ihr Gewand,
Haare, die wie Rabenschwingen um sie wehen,
ihr schwarzes Lachen zerrt ihm am Verstand.
Durch ihre Schatten und die trägen Menschentrauben
blinkt Salamancas Tor, vom letzten Licht besonnt,
und er ahnt: es ist zu weit, doch mag’s nicht glauben – – –
noch ein Fingerbreit bis zum Horizont. . .
Verzagt, ertrinkend greift er nach den Bildern seiner Reisen,
ferne Wasser, weiße Städte, wo die Sonne heller brennt,
Gedanken wie ein wilder Kuss, er schwelgt und lässt sie kreisen
doch die Furcht zieht ihn mit harter Hand zurück in den Moment.
Ach! Sein stolzer Hengst, sein Freund auf all den Reisen –
er prügelt ihn wie einen sturen Gaul,
zu weit! Die Funken stieben von den Eisen,
zu weit!, zu weit! Der Schaum steht ihm vorm Maul.
Des Boten Blick streift jene, die sich selbst vergaßen,
und im letzten Herzschlag, eh‘ die Sonne sinkt
beschwört er hell die Freiheit langer Straßen,
er zaudert stumm,
reißt dann sein Pferd herum,
legt den Kopf zurück
Triumph im Blick
und springt. . .
* * *
So fanden sie sie beide, Ross und Reiter,
zerschmettert unterm letzten Brückenjoch.
Man starrte stumm und keiner wusste weiter,
war die Brücke dort doch kaum drei Schritte hoch.
Die Menschen an der alten Silberstraße
begruben ihn, den Mythos schon umgab,
kein Name und kein Stein bezeugt die Stelle,
doch jeder, der vorbeizieht, kennt das Grab.
Noch heut singt man auf jener Uferseite
von dem einen, der dem Brückenweib entkommt,
und flüstert im Vorübergehen: „Reite,
der Tag versinkt hinterm Horizont!“,
und flüstert leise: „Reite, Bote, reite,
bis zum Horizont!“
16. August 2012